Straubenhardt (Enzkreis), 16. Mai 2022. Die Einweihung des kreislauffähig gebauten Feuerwehrhauses in Straubenhardt steht in Kürze bevor: Nach drei Jahren Bauzeit öffnet am 21. Mai ein Gebäude seine Pforten, das nicht nur im „Musterländle“ seinesgleichen sucht. Das Bauobjekt ist eines der bundesweit ersten im öffentlichen Sektor, das die baden-württembergische Gemeinde im Enzkreis nach dem „Cradle to Cradle“-Kreislaufprinzip realisiert.
Es handelt sich dabei um ein kreislauffähiges Verfahren, nach dem Baustoffe so konzipiert sind, dass sie bei Umbau oder Rückbau in einem neuen Bauvorhaben weiter- und wiederverwendet werden können. Für diese Pionierarbeit würdigte bereits der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Gemeinde als nachhaltiges Vorbild für andere Kommunen. Das Stuttgarter Architekturbüro wulf architekten gmbh plante und realisierte das nachhaltige Leuchtturmprojekt mit Unterstützung des Umweltberatungsinstituts EPEA GmbH, eine Tochter des Beratungsunternehmens Drees & Sommer SE.
Beim „Cradle to Cradle“-Prinzip (kurz C2C®) geht es im Kern um nichts weniger, als Rohstoffe für Produkte, Prozesse und Gebäude in der Art und Weise einzusetzen, dass sie entweder in gleicher Qualität erhalten bleiben oder komplett abbaubar in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Das nach diesem Prinzip errichtete Feuerwehrhaus verwandelt sich damit in ein wertvolles Rohstoffdepot und Materiallager. Eine solche Bauweise strebt Straubenhardt künftig auch bei neuen Gewerbe- und Hochbauprojekten an.
Damit tritt die Gemeinde dem Ressourcenhunger der Baubranche entgegen, die etwa 40 Prozent der globalen Rohstoffe verschlingt. Eine Wiederverwertung ist zumeist nur in minderwertiger Form – etwa als Füllmaterial – möglich. Als „Cradle to Cradle“-Modellkommune und zertifizierte Fairtrade-Kommune beweist die baden-württembergische Gemeinde Straubenhardt, dass es auch anders geht: „Wir gehen mit gutem Beispiel für andere Städte und Gemeinden voran, ressourcenschonend zu bauen“, sagt Bürgermeister Helge Viehweg. „Im neuen Feuerwehrhaus realisieren wir bereits heute die künftig von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen, um die Kreislaufwirtschaft im Baubereich voranzutreiben. So kommt beispielsweise der digitale Gebäuderessourcenpass erstmals in einem öffentlichen Gebäude zum Einsatz.“
Spannungsfeld Architekur und Nachhaltigkeit
„Mit der Planung von nachhaltigen Gebäuden, auch solchen mit technisch anspruchsvoller und komplexer Programmatik, sind wir bei wulf architekten seit Jahren vertraut“, sagt der Architekt und Geschäftsführender Gesellschafter Ingmar Menzer. „Dennoch trafen wir im Projektverlauf auf viele Herausforderungen, da kreislauffähiges Bauen für viele Akteure in der Branche noch Neuland ist.“ Der architektonische Anspruch war hoch, denn es galt nicht nur gesunde Materialien einzusetzen, sondern auch die versiegelte Grundfläche so gering wie möglich zu halten. Die Lösung bestand darin, die unterschiedlichen Funktionen des Gebäudes übereinander zu schichten und die Hanglage des Grundstücks zu nutzen.
„Diese Stapelung ist von außen klar erkennbar, so entsteht das charakteristische und identitätsstiftende Erscheinungsbild des Feuerwehrhauses“, so Menzer. Im massiven Sockel befinden sich alle für den Einsatz notwendigen Räume und die Halle für die Löschfahrzeuge. Das offene Zwischengeschoss wird als Parkplatz sowie für Veranstaltungen genutzt. In dem darüber aufgeständerten Holzbaukörper sind Büro-, Gemeinschafts- und Schulungsräume angeordnet. Die weiße Streckmetallfassade lässt den Baukörper homogen erscheinen. „Straubenhardts Feuerwehrhaus ist ein Beleg dafür, dass eine kreislaufgerechte Ausführung, ein möglichst geringer Materialeinsatz und eine ansprechende, moderne Architektur keinen Widerspruch darstellen“, fasst Menzer zusammen.
Klimaführerschein fürs Gebäude
Insgesamt kommen im Feuerwehrhaus-Neubau in Straubenhardt vor allem sortenreine Materialien wie Holz, Metall und Beton zum Einsatz. Das Umweltberatungsinstitut EPEA GmbH wählte gemeinsam mit den Architekten und Fachplanern fast 250 einzelne Materialien der etwa 80 Bauteile aus und prüfte sie unter anderem auf ihre Materialgesundheit, Trennbarkeit, Recyclingfähigkeit und auf die CO2-Emissionen bei Herstellung und Transport.
Das Team um die Ingenieurin Daniela Schneider begleitete den Architektenwettbewerb, stellte die Kreislauffähigkeit der Materialien sicher und erstellte außerdem einen Ressourcenmaterialpass – „Building Circularity Passport“ genannt. „Es handelt sich um eine Art Klimaführerschein fürs Gebäude, der transparent ausweist, wie CO2-intensiv und nachhaltig das verwendete Baumaterial ist“, erklärt die Ingenieurin. „Wenn das Gebäude am Ende seiner Nutzungszeit um- oder rückgebaut wird, liegen wichtige Informationen vor, woraus es besteht und in welchen Mengen verschiedene Baustoffe vorhanden sind.“
Materialien auf Schadstoffe und Kreislauffähigkeit geprüft
So führte Schneiders Team in enger Absprache mit den Architekten zunächst eine Bauteilanalyse durch: Dazu gehört, die Materialien auf ihre bauchemische Zusammensetzung, Schadstoffe sowie mögliche Emissionsabgaben an die Innenraumluft zu untersuchen. Zusätzliche Schichten zur Verkleidung von Wand-, Boden- und Deckenoberflächen finden sich in dem Gebäude kaum wieder. Dadurch ist ein unkomplizierter Rückbauprozess sichergestellt. Der Großteil der Innenwände besteht aus reinem Stahlbeton oder aus Holz. Lediglich in der Küche oder in den Duschkabinen sorgen geflieste Oberflächen für Spritzschutz. Auch kommt das Gebäude weitestgehend ohne Klebstoffe und Montageschäume aus: Viele Elemente wurden beispielsweise verschraubt, sodass die Materialien einfach trennbar bleiben. Ein Downcycling findet dank diesem Ansatz nicht mehr statt.
Gesunde Räume für die Bürger:innen
Um die Organisationen zu straffen, bringt die Gemeinde sechs ehemalige Feuerwehrabteilungen aus den Teilstandorten in dem neuen Gebäude unter. Auch die Jugendfeuerwehr findet hier Räumlichkeiten, die unter anderem für Ferienkurse und öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung stehen. „Das Feuerwehrhaus ist nicht nur nachhaltig, auch der soziale Aspekt spielt eine wichtige Rolle. Das ist ein bedeutendes Gebäude für die gesamte Gemeinde. Wir stellen sicher, dass sich die Bürger:innen in einem gesunden Haus aufhalten können“, sagt Bürgermeister Helge Viehweg.