Immobilien als Lager, Städte als Steinbrüche. Das Beispiel des Patrick-Henry-Village in Heidelberg zeigt: Wenn unterschiedliche Akteure klug kooperieren, rechnet sich das langfristig – auf mehreren Ebenen.
Bauschutt macht weltweit etwa die Hälfte allen Abfalls aus … Die Deponiekapazitäten stoßen an ihre Grenzen … Die Bau- und Immobilienbranche verursacht 40 Prozent der global freigesetzten Treibhausgase … Rohstoffe wie Sand, Kies und Erze sind nicht unbegrenzt verfügbar ... Die Probleme sind bekannt, der Ruf nach Veränderung ist laut. Die Botschaft ist: Wer als Teil des Bausektors zukunftsfähig sein will, muss kreislauffähig werden – weil es ökologisch richtig und ökonomisch notwendig ist.
Die Veränderung hat längst begonnen. Mit Urban Mining als Strategie, um Ressourcen produktiver zu nutzen. Hier sind Immobilien Rohstofflager und Städte Steinbrüche der Zukunft. Das Prinzip dahinter ist uralt. Menschen früherer Jahrhunderte nutzten Steine alter Burgen für den Bau neuer Siedlungen, für die Trümmerfrauen waren die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäude urbane Minen. Urban Mining heute nähert sich dem Cradle to Cradle-Ideal einer Welt ohne Abfall an. Einer Welt, in der unser gesamtes Leben so organisiert ist, dass Materialien in biologischen oder technischen Kreisläufen zirkulieren – inspiriert von der Natur, in der das Alte der Nährstoff für das Neue ist.
Auf Immobilien bezogen heißt das beispielsweise: einmal verbauter Beton lässt sich – ohne Qualitäts- und Wertverlust – immer wieder verwenden. Die genutzten Rohstoffe sind nicht verloren. Sie sind gelagert; die Gebäude sind ihr Speicher. Voraussetzung: die Wertstoffe sind chemisch unbedenklich, leicht zu demontieren und sortenrein trennbar. Wie sich neue Immobilien nach dem Cradle to Cradle-Designprinzip realisieren lassen, zeigen etwa das RAG Gebäude in Essen, das Rathaus im niederländischen Venlo oder das Holzhybridgebäude „The Cradle“ in Düsseldorf. Sie alle verfügen über einen Materialpass mit sämtlichen Informationen zu ihrer Kreislauffähigkeit. Expert:innen der EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer, eine internationale Innovationspartnerin für umweltverträgliche Industrieprodukte und Gebäude, haben diesen Circularity Passport – Buildings in Kooperationen mit BIM-Kolleginnen und -Kollegen entwickelt. Er dient als Dokumentationstool und als Optimierungswerkzeug in der Planung.
Bestand fehlen die Daten zur materiellen Zusammensetzung von Gebäuden fast immer. Doch das ist kein unüberwindbares Hindernis. Informationen lassen sich beschaffen, mittels Recherchen, Analysen – oder Schätzungen. EPEAs Urban Mining Screener errechnet sie ohne aufwendige Begehungen rein auf Basis des Bauorts, des Baujahrs, des Gebäudevolumens und des Gebäudetyps auf Knopfdruck – und liefert erfreulich realitätsnahe Ergebnisse, wie genaue Untersuchungen zeigen.
Ein Projekt, in dem der Urban Mining Screener zum Einsatz kam, ist das Patrick-Henry-Village in Heidelberg, eine 110 Hektar große ehemalige Wohnsiedlung für Angehörige der US-Armee, auf der Wohnungen für 10.000 Menschen und Raum für rund 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Das Patrick-Henry-Village ist Teil des Pilotprojekts „Circular City Heidelberg“, in dem die Kommune ein digitales Materialkataster im Sinne von Urban Mining schafft. Mit an Bord sind – neben der für die Konzeption verantwortlichen EPEA – Heidelberg Materials, einer der größten Baustoffunternehmen der Welt, und die Plattform Madaster, die unter anderem Materialwerte speichert und Rohstoffrestwerte ermittelt. Die 325 Gebäude, die für die neue Siedlung saniert oder abgerissen werden müssen, sind dem Urban Mining Screener zufolge ein gigantisches Rohstofflager mit rund 465.884 Tonnen Material. Etwa die Hälfte davon ist Beton, ein Fünftel Mauersteine und gut fünf Prozent Metalle.
Zur Wahrheit gehört, dass es aktuell häufig noch immer günstiger ist, neu zu bauen als das Re-Use-Prinzip anzuwenden. Per se klüger ist es nicht, schon gar nicht langfristig. Dem Urban Mining gehört die Zukunft, zumal es in Kürze auch regulatorisch verankert wird. Gebäude nach dem Cradle to Cradle-Designprinzip sind positiv für Klima und Mensch, ressourcenschonend und langfristig wertbeständig. Das muss in der Bau- und Immobilienbranche noch stärker ankommen.
Dr. Matthias Heinrich, Leading Consultant, EPEA GmbH - Part of Drees & Sommer
Marcel Özer, Geschäftsführer, EPEA GmbH - Part of Drees & Sommer
Montag, 12. Mai - Dienstag, 13. Mai 2025
Jahreskongress Cradle to Cradle in München